Fazit nach einem Jahr Hidjra auf Reisen.
Letztes Jahr im September hat unsere Freiheit begonnen. Wir hatten uns komplett in Deutschland abgemeldet und sind ins Unbekannte losgezogen. Keiner war von uns vorher schon mal in Südostasien und wir hatten kein Wissen über Mentalität, Islam in dieser Gegend oder sonstiges.
Alles was wir kannten, waren Reise Vlogs aus You Tube von fremden Menschen, die weder Muslime waren, noch unsere Vorstellungen und Meinungen vertraten.
Tja da saßen wir dann im Flieger mit unterschiedlichen Gefühlen, der Freude, Hoffnung und auch Ängsten. Wir dachten wir kennen asiatisches Essen aus den asiatischen Restaurants in Deutschland, wissen, dass es heiß ist und dass Asiaten mit ihren Gefühlen zurückhaltend sind. Na ja Theorie und Praxis sind bekanntlich zwei unterschiedliche Dinge. Der Anfang war gemischt. Er bestand aus Spannung, was da kommt, aus Freude aus Deutschland weg zu sein und wir wussten, es kommt immer alles anders, als man denkt. Mein Jüngster, freute sich keine Schule mehr zu haben, kam anfangs mit dem doch etwas gesünderen thailändischen Essen, welches sehr an Deutschland erinnerte und in Krabi an die Touristen angepasst war, nicht so gut klar. Er musste gleich die Erfahrung eines Unfalls machen, welches ihn jedoch innerlich wachsen ließ und ich staunte über seine Stärke. In Malaysia kam er mit dem einfachen Essen (Reis, Soße und meist ein paar Stücken Huhn) schon viel besser klar. Hier wurden alle Getränke noch mal extra gesüßt, besonders in Kelantan, was ganz nach seinem Geschmack war. Gesunde Ernährung, die ich ihm in Deutschland versucht habe näher zubringen – ade. Er war schon immer ein eher stiller in sich zurück gezogener Typ mit wenig Freunden, jedoch hatte er nun gar keine und vertiefte sich so immer mehr mit seinem Handy in die weltweiten Tiefen des Internets. Ganz normal für Asien. Was mich in Deutschland aufgeregt hat, wenn die Leute auf der Straße in ihr Handy schauten, ist hier das normalste der Welt. Ob auf der Straße, in Bus und Bahn, oder auch im Restaurant, schaut fast jeder auf sein Handy statt seinem Gegenüber ins Gesicht. So weit geht es bei meinem Sohn nicht, alhamdulillah. Wenn man sonst auch das Gefühl hat eher in der Zeit hier zurück zu sein, ist man mit der Technik doch schon mehr verschmolzen als woanders. Mein Jüngster, den ich nun nicht mehr meinen Kleinen nennen kann, da er mir bereits über den Kopf gewachsen ist, fällt hier kaum auf. In Asien sind die meisten Menschen ja doch eher klein, wo er in Deutschland immer etwas traurig über seine fehlende Größe war, konnte er hier über viele hin wegschauen. Auch mit seiner dunklen Hautfarbe passt er gut hier her und wird oft für einen Malaysier gehalten.
Mein Großer, der eigentlich lieber in Deutschland geblieben wäre, aber seine Mama beschützen und unterstützen wollte und deshalb doch mitgekommen ist, hat sich am meisten verändert. Ich staune immer wieder welch starken Einfluss doch das Umfeld auf einen Menschen haben kann. Er ist aufgeschlossen, aber mag eigentlich lieber, was er kennt, braucht seine gewohnte Umgebung und seinen regelmäßigen Rhythmus, auch waren seine Freunde immer das Wichtigste und natürlich sein Sport. Er hat auch nach einem Jahr noch guten Kontakt zu einigen Freunden in Deutschland, dank WhatsApp und auch seinen Sport hat er hier selten vernachlässigt. Wenn wir ein Gym (Fitness Studio) in der Nähe hatten, war er da. War keins erreichbar, hat er zu Hause trainiert und dadurch auch einiges dazu gelernt. Was seinen Sport betrifft, hat er sich durch das Internet weitergebildet und interessiert sich nun immer mehr für Gesundheit. Ihm geht es jetzt ähnlich wie mir, dass ihm Gemüse und Salate fehlen, die hier in Asien schwer zu finden sind, oder nur in teuren Restaurants in kleinen Portionen für überteuerte Preise angeboten werden. Er war derjenige von uns, der am wenigsten Englisch sprach und es nun am besten kann. Beide Jungs hatten in Kota Bharu einen Englischkurs geschenkt bekommen und hören oder lesen jetzt Vorträge auf Englisch wovon ich weit entfernt bin. In Deutschland konnte er nicht über den Tellerrand schauen, dachte, die ganze Welt wäre gleich und es würde überall so ablaufen wie in Berlin Neukölln. Reden half da nichts. So hat ihn wohl auch am meisten erstaunt, wie unterschiedlich Menschen sind und vor allem wie hier der Islam gesehen wird. Nicht mehr der Feind zu sein, sich verteidigen zu müssen, sondern gerade als Muslim willkommen und anerkannt zu sein hat ihn anfangs am stärksten beeindruckt. Dass die Polizei nicht automatisch gegen dich ist, sondern hier tatsächlich noch hilft, ist ein eigenartiges Gefühl, an das man sich erst mal gewöhnen musste. Er hat sich immer mehr islamisch gebildet, nachgefragt, selbst recherchiert. In Kelantan, wo wir uns die längste Zeit aufgehalten haben, erinnert mich vieles eher an den Sufismus als an die Sunnah. Man sagt sie richten sich hier nach Shafi´i und doch findet man so viel Bida´a. Den Jungs wurde angeboten den Islam zu studieren. Es gibt dort viele Einrichtungen und immer wieder trifft man Leute die Hafiz dort geworden sind. Da wir jedoch so viel Bida´a auch in den Moscheen gesehen haben, war die Angst etwas Falsches zu lernen groß. Auch wollten wir uns ja was geschäftliches aufbauen, um Geld zu verdienen und reisen um mehr kennenzulernen. Letztendlich sollte es dann wohl auch nicht so sein und es hat sich dann auch nicht wirklich was ergeben. Im Allgemeinen ist mein Großer viel friedlicher geworden und erscheint mir nun immer öfter, wie ein neu konvertierter Muslim, der nicht genug Wissen bekommen kann und alles ganz genau machen will. Nun ermahnt er mich und teilt mir sein Wissen mit, wie sich die Zeiten ändern. Ich bin dankbar und stolz auf seinen Wandel und überglücklich, dass er diesen Schritt mit uns gegangen ist.
Ich habe wohl von uns am längsten gebraucht loszulassen, Freiheit zu erkennen und zu genießen. Immer hatte ich den Druck der Verantwortung auf mir, mich um alles kümmern zu müssen und zu regeln. Mir fällt es hier sehr schwer auf Menschen zuzugehen, obwohl das in Deutschland ganz anders war. Hier fehlt mir die Sprache und es sind Männer, die mich oft als Frau nicht ernst nehmen, oder wahr nehmen, ich werde einfach übersehen. Ob nun aus islamischer Sicht oder aus Ignoranz so gehandelt wird, ist nicht immer ersichtlich. So habe ich meinen Großen immer vorgeschickt, obwohl seine Sprachkenntnisse anfangs ja noch schlechter waren als meine, hat er sich jedoch mit Händen und Füßen immer gut durchgeschlagen. Nicht immer hat ihm das gefallen, aber er hat uns unterstützt, wo er konnte und ist daran auch gewachsen. Auch wenn ich nicht die ausführende Person war, so bin ich doch trotzdem diejenige, welche die Verantwortung trägt und die letzten Entscheidungen fällt. Ich war schon immer sehr verantwortungsbewusst und so konnte ich das erste halbe Jahr meine Rolle aus Deutschland einfach nicht ablegen. Stand immer unter Spannung und trug die schwere Last auf meinen Schultern und die Angst, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Die Sorge, was ich meinen Kindern mit dieser Hijra angetan habe und das Denken es könnte schiefgehen, hat mir schwer zugesetzt. Nach ca. 6 Monaten saß ich am Schreibtisch, schaute aus dem Fenster, sah das erste Mal die wunderschöne Natur so richtig und dankbar an. Nahm wahr, dass ich Deutschland verlassen habe und nie wieder zurückkehren will! Erkannte, dass ich in Malaysia war, wo ich doch hin wollte und brach in Tränen aus. Ich konnte mich nicht zurückhalten, es war, als wenn Schleier von meinem Bewusstsein fielen und ich erkannte frei zu sein. Unendliche Dankbarkeit und Freude stieg in mir hoch und die Tränen rannten um die Wette über mein ganzes Gesicht. Ich heulte und lachte gleichzeitig und auch jetzt wo ich dies niederschreibe, kullern Tränen über meine Wangen, da die Erinnerung an dieses Gefühl und die Dankbarkeit so stark ist. Ich bin frei.
Von diesem Moment wurde es Tag für Tag leichter für mich. Einfach in den Tag hineinzuleben. Die Dinge kommen und auch gehen zu lassen und einfach nur anzunehmen was passiert. ALLAH regelt alles, nicht ich. Es ging Schritt für Schritt mit meiner Leichtigkeit voran, natürlich gab es auch mal Rückschläge, wo ich mich wieder verrückt gemacht habe, weil es nicht so lief wie gewollt und geplant, doch es wurde leichter.
Das Schönste an Asien ist die Toleranz der Menschen. Hier gilt wirklich das Prinzip: Leben und leben lassen. Niemand interessiert sich dafür was oder wie der andere etwas macht, aussieht oder sonst was. Selbstverständlich gibt es die berühmten Ausnahmen, aber im Großen und Ganzen ist es so. Nicht immer ist es gut, wenn z. Bsp. In Thailand uns Ladyboys begegnen und meinen Großen anmachen. Jedoch auch sie sind tolerant, akzeptieren ein nein und bleiben freundlich. Die Nichtmuslime tragen hier meist sehr kurze Shorts oder auch Röcke und es gibt keine Erholung davon, da es das ganze Jahr immer um die 30 Grad hier sind. Allerdings sind die meisten obenrum geschlossener als in Deutschland, wo man manchmal Angst hatte, ihnen könnte gleich was aus der Bluse fallen. In Kelantan (Malaysia) und Narathiwat (Thailand) sah man das jedoch selten, da diese Gegenden hauptsächlich von Muslimen bewohnt sind. Als wir nach Kuala Lumpur kamen und ich wieder dieser Freizügigkeit ausgesetzt war, fand ich es total erniedrigend, wenn Frauen so herumlaufen. Obwohl die asiatischen Männer kaum Notiz davon nehmen, wohl weil sie es gewohnt sind, ähnlich wie bei manchen Deutschen. Dies würde ich jedoch nicht als Freizügigkeit und Toleranz bezeichnen, sondern eher als Abgestumpftheit, welches ein trauriges Resultat darstellt. Traurig für die Frauen, die ihren Körper nicht mehr als etwas Schönes und Wertvolles wahrnehmen und sich selbst respektieren. Auch traurig für die Männer, welche so Reiz überflutet sind, dass sie nicht mehr darauf ansprechen und sich dann bei manchen dadurch Vorlieben an Kindern oder gar Tieren ergeben. Arme Menschheit.
Jedoch ist es wundervoll mit meinem langen Khimar nicht angeglotzt zu werden. Klar schauen auch welche, weil man diese Art hier kaum sieht, auch falle ich als Fremde auf. Als Muslima bin ich jedoch nur eine von vielen, nicht beachtenswert, keine Ausnahme und schon gar keine Feindin oder Terroristin, das ist ebenfalls so ein herrlich befreiendes Gefühl.
Abstriche gehören natürlich auch zum Leben und davon musste ich hier einige machen. Habe ich mich in Deutschland sehr bewusst gesund und Bio ernährt, etwas Sport gemacht und auch im Allgemeinen versucht umweltbewusst und ökologisch zu handeln. Hier ist all das kaum möglich. Bio können wir uns hier partout nicht leisten, umweltbewusst hält sich sehr in Grenzen. Alles ist hier mehrfach in Plastik eingeschweißt. So haben wir zum Bsp. Bonbons gekauft in einer Plastiktüte, haben diese geöffnet und darin jeden einzelnen Bonbon nochmal in ein kleines Tütchen eingepackt vorgefunden. Sicher das gibt es auch in Deutschland, hier ist es jedoch bei fast jedem Artikel so, einfach total übertrieben. Das Schlimme daran ist auch nicht nur das Plastik nicht verrottet und wir die Erde damit zu müllen. Hier liegt der Dreck tatsächlich auch überall herum. Auf den Straßen sogar abseits in der Natur, an allen Stränden, einfach alles ist zu zugemüllt. Es ist mir unbegreiflich wie Menschen und Muslime im Besonderen so mit ihrer Umwelt umgehen können. Wie kann es Menschen egal sein auf einem stinkenden Müllhaufen zu leben? Das macht mich echt traurig und darüber kann ich auch einfach nicht hinwegsehen, selbst mein Jüngster ist immer und immer wieder entsetzt über den Anblick, der sich uns hier bietet. Hier findet man alles nebeneinander, wunderschöne Vielfalt der Natur und daneben den Müll, Muslime mit und ohne Niqab und freizügige mit Hotpants, Süße Katzen und Hunde (Hunde mehr in Thailand) und Ratten und Kakerlaken. Nur das Essen finde ich hier sehr eintönig, selbst wenn es angeblich Western Stil ist, oder arabisch, ist doch alles an den malaysischen Geschmack angepasst. Was mir hier fehlt, ist dunkles Brot, richtiger Käse und nicht total zerkochtes Gemüse. Je nach dem an welchem Ort man sich befindet, ist es mal mehr oder weniger schwer guten Honig, Datteln und Trockenfrüchte sowie Nüsse zu bekommen. Obwohl hier alles wächst, es genug Sonne, Regen und freie Böden gibt, ist Obst relativ teuer und nur auf den Märkten oder in großen Supermärkten zu bekommen. Dieses ist dann überdüngt und natürlich gespritzt. Hier gibt es Ölpalmen ohne Ende und Reisfelder, es geht ums Geld, nicht um gesunde Nahrung für die Bevölkerung sowie überall auf der Welt.
Außer dem Unfall meines Jüngsten, der auch ständig unter starken Erkältungen leidet, hatten mein Großer und ich eine heftige Lebensmittelvergiftung und schon einige Magenverstimmungen mit ständigem Toilettengang. Ich hatte zweimal eine Ohrenentzündung und konnte ganz schlecht hören und einen verstauchten Knöchel, der mir wochenlang Schmerzen beim Gehen verursacht hat. Krankenhäuser kann man hier vergessen. Einheimische bezahlen 1 Ringgit wenn sie ins Krankenhaus gehen, wir als Touristen müssen 100 Ringgit zahlen. Bekommen dafür Fieber gemessen, eine allgemeine kurze Untersuchung und da niemand weiß was es ist, bekamen wir egal bei welchen Symptomen immer ein Antibiotikum. Bei meiner Ohrenentzündung bekam ich sogar gleich drei, eins davon wird in Deutschland aufgrund seiner hohen Nebenwirkungen nicht mehr verschrieben. Außer bei hohem Fieber wird Blut abgenommen und auf Dengue kontrolliert, da diese hier weit verbreitet ist. 40 Grad Fieber hatte mein Jüngster zweimal, welches nach drei Tagen ohne weitere Symptome dann auch wieder verschwand. Leider waren die Krankenhäuser unfähig uns eine Rechnung auf Englisch auszustellen, obwohl wir eine Krankenversicherung extra abgeschlossen haben, konnten wir keine Rechnung einreichen. Diese hätte erst ins Englische übersetzt werden müssen (was wir selber nicht dürfen). Übersetzungen sind hier jedoch sehr teuer, sodass sich der ganze Aufwand am Ende nicht gelohnt hätte und wir mehr gezahlt als bekommen hätten. Das Thema Versicherung war auch ein schwieriges Thema für mich. Habe ich in Deutschland doch sämtliche freiwilligen Versicherungen abgelehnt. Nun hatte ich jedoch gelesen, dass man in manchen Ländern nur ein Visum erhält, wenn man eine Reisekrankenversicherung hat. So habe ich doch eine abgeschlossen und diese auch nach einem Jahr jetzt verlängert. 2400,00 € für zwei Jahre und niemand wollte sie beim Visaantrag sehen. Ob ich sie noch einmal verlängere wird sich zeigen, ob wir sie in diesem kommenden Jahr nutzen oder eher nicht.
Fortsetzung folgt…